Vom Fach zur Fachdidaktik – ein Seminarkonzept zur Förderung der Kohärenz im Lehramtsstudium
Im Rahmen des universitären Lehramtsstudiums sollen Studierende erste professionelle Handlungskompetenzen für ihr späteres Unterrichtshandeln aufbauen, die sich laut dem Freiburger Säulen-Phasen-Modell aus den Bildungswissenschaften, den Fachwissenschaften sowie den zugehörigen Fachdidaktiken speisen (Hellmann, 2019, S. 10f.). Sind Synergien zwischen diesen drei Disziplinen in der Theorie zwar deutlich erkennbar, werden sie von Lehramtsstudierenden jedoch häufig als fragmentiert wahrgenommen. Mit Blick auf die nachfolgenden Phasen der Lehrkräftebildung (Referendariat sowie Fort- bzw. Weiterbildung im Beruf) fehlen den Studierenden erkennbare Praxisbezüge sowie Gelegenheiten, ihr Wissen aus verschiedenen Domänen miteinander zu verknüpfen und zur Anwendung zu bringen (z. B. Huber et al., 2025). In Konsequenz fühlen sich die Studierenden oftmals nur mangelhaft auf die späteren Herausforderungen des Lehrkräfteberufs vorbereitet.
Gleichermaßen werden im Referendariat oder im Rahmen der späteren Berufspraxis Rückbezüge auf theoretische Grundlagen oder empirische Evidenzen oft nur mangelhaft hergestellt oder fehlen sogar vollends – Problematiken, die Huber et al. (2025) im Gutachten „Lehrkräftebildung für das 21. Jahrhundert: Attraktivität und Qualität durch Professionsbezug und Wissenschaftsorientierung“ aufgreifen.
Im Rahmen des Projekts „Vom Fach zur Fachdidaktik“ soll im Rahmen eines designbasierten Forschungsansatzes (vgl. Rohrbach-Lochner, 2019) ein Seminarkonzept entwickelt und erprobt werden, das zentrale Empfehlungen des Gutachtens umsetzt. Neben einer konsequenten Ausrichtung an den Core Practices des naturwissenschaftlichen Unterrichts (Kloser, 2014; McDonald et al., 2013, z. B. Erhebung und Nutzung von Lernendenvorstellungen oder Schaffung von Lerngelegenheiten zur Konstruktion und Interpretation von Modellen) steht ein multiprofessioneller Teamteaching-Ansatz im Kern des Projekts:
Das Seminar wird in enger Zusammenarbeit zwischen einem wissenschaftlichen Mitarbeiter der Chemiedidaktik und einem abgeordneten Seminarlehrer konzipiert und durchgeführt, um Perspektiven aus den ersten beiden Phasen der Lehrkräftebildung zu vereinen und die Studierenden ultimativ besser auf die späteren Bedarfe ihres Berufsfelds vorzubereiten.
Wie in Abbildung 1 dargestellt, besteht das Seminar aus zwei Komponenten: In der ersten Phase werden zentrale fachliche und fachdidaktische Themen aufgegriffen und systematisch miteinander verknüpft. In der zweiten Hälfte des Semesters führen die Studierenden Microteachings durch (vgl. Stigmar, 2016). Hierzu werden die fachlichen und fachdidaktischen Schwerpunkte aus dem ersten Semester rekombiniert, so dass bspw. eine Unterrichtsstunde zum Thema Säuren und Basen mit dem Schwerpunkt auf Lernendenvorstellungen geplant, durchgeführt und reflektiert werden soll.

Abbildung 1. Seminarstruktur „Vom Fach zur Fachdidaktik“ (WiSe 25/26)
Der Begleitforschung liegen die folgenden Forschungsfragen zugrunde:
- Inwieweit verändert sich die chemiedidaktische Selbstwirksamkeitserwartung der Studierenden durch den Besuch des Seminars?
- Inwieweit sind die Studierenden vor und nach dem Besuch des Seminars dazu in der Lage, ihr Fachwissen im Rahmen der Unterrichtsplanung anzuwenden?
- Wie beurteilen die Studierenden die Seminareinheiten hinsichtlich der Nützlichkeit für die spätere Unterrichtsplanung?
- Welche Bedarfe formulieren die Studierenden bzgl. der Seminargestaltung?
Als zentrale Messgröße fungiert die Selbstwirksamkeitserwartung (SWE), die laut Rabe et al. (2012) das spätere Unterrichtshandeln beeinflusst sowie bereits den Kompetenzerwerb im Lehramtsstudium selbst mediieren kann (Depping et al., 2021). Sie wird im Prä-Post-Design durch eine modifizierte Skala nach Meinhardt et al. (2016) erhoben, die in den Bereichen ‚Elementarisierung‘, ‚Umgang mit Schülervorstellungen‘ und ‚Umgang mit Aufgaben‘ jeweils in die Dimensionen der Planung und Durchführung von Chemieunterricht ausdifferenziert wird.
Ergänzend dazu wird jede Seminareinheit von den Studierenden auf multiple Arten evaluiert: Einerseits füllen sie nach jeder Sitzung eine Kurzskala mit Items zur beruflichen SWE (4 Items, adaptiert nach Rigotti et al., 2008), zur Anstrengungsbereitschaft (2 Items adaptiert nach Rheinberg et al., 2001) sowie zum wahrgenommenen Nutzwert (Utility-Value, 2 Items adaptiert nach Fütterer et al., 2023) aus. Um die Wünsche und Bedarfe der Studierenden konkret zu erfassen und bei der Seminargestaltung zu berücksichtigen, schreiben diese am Ende jeder Sitzung One-Minute-Paper (vgl. Stead, 2005), die bei der Konzeption der Veranstaltung berücksichtigt werden.
Depping, D., Ehmke, T. & Besser, M. (2021). Aus „Erfahrung“ wird man selbstwirksam, motiviert und klug: Wie hängen unterschiedliche Komponenten professioneller Kompetenz von Lehramtsstudierenden mit der Nutzung von Lerngelegenheiten zusammen? Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 24(1), 185–211. https://doi.org/10.1007/s11618-021-00994-w
Fütterer, T., Scherer, R., Scheiter, K., Stürmer, K. & Lachner, A. (2023). Will, skills, or conscientiousness: What predicts teachers’ intentions to participate in technology-related professional development? Computers & Education, 198, 104756. https://doi.org/10.1016/j.compedu.2023.104756
Hellmann, K. (2019). Kohärenz in der Lehrerbildung – Theoretische Konzeptionalisierung. In K. Hellmann, J. Kreutz, M. Schwichow & K. Zaki (Hrsg.), Kohärenz in der Lehrerbildung (S. 9–31). Springer Fachmedien Wiesbaden.
Huber, M., Artelt, C., Babl, U., Dresel, M., Fleischmann, S., Goppel, M., Kopp, B., Lohmüller, H., Männlein, P., Ratz, C., Schilcher, A., Stubenvoll, E. & Schwägerl, M. (2025). Lehrkräftebildung für das 21. Jahrhundert: Attraktivität und Qualität durch Professionsbezug und Wissenschaftsorientierung: Gutachten der Expertinnen- und Expertenkommission zur Weiterentwicklung der Lehrkräftebildung in Bayern. https://www.km.bayern.de/
Kloser, M. (2014). Identifying a core set of science teaching practices: A delphi expert panel approach. Journal of Research in Science Teaching, 51(9), 1185–1217. https://doi.org/10.1002/tea.21171
McDonald, M., Kazemi, E. & Kavanagh, S. S. (2013). Core Practices and Pedagogies of Teacher Education. Journal of Teacher Education, 64(5), 378–386. https://doi.org/10.1177/0022487113493807
Meinhardt, C., Rabe, T. & Krey, O. (2016). Selbstwirksamkeitserwartungen in physikdidaktischen Handlungsfeldern. Skalendokumentation. Didaktik der Physik, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. http://www.pedocs.de/frontdoor.php?source_opus=11818
Rabe, T., Meinhardt, C. & Krey, O. (2012). Entwicklung eines Instruments zur Erhebung von Selbstwirksamkeitserwartungen in physikdidaktischen Handlungsfeldern. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften, 18, 293–315. https://doi.org/10.25656/01:31740
Rheinberg, F., Vollmeyer, R. & Burns, B. D. (2001). FAM: Ein Fragebogen zur Erfassung aktueller Motivation in Lern- und Leistungssituationen. Diagnostica, 47(2), 57–66. https://doi.org/10.1026//0012-1924.47.2.57
Rigotti, T., Schyns, B. & Mohr, G. (2008). A Short Version of the Occupational Self-Efficacy Scale: Structural and Construct Validity Across Five Countries. Journal of Career Assessment, 16(2), 238–255. https://doi.org/10.1177/1069072707305763
Rohrbach-Lochner, F. (2019). Design-Based Research zur Weiterentwicklung der chemiedidaktischen Lehrerausbildung zu Schülervorstellungen: Entwicklung und Evaluation eines an Forschendem Lernen orientierten Seminarkonzepts. Lernen in Naturwissenschaften – verstehen und entwickeln: Bd. 3. Logos Verlag Berlin.
Stead, D. R. (2005). A review of the one-minute paper. Active Learning in Higher Education, 6(2), 118–131. https://doi.org/10.1177/1469787405054237
Stigmar, M. (2016). Peer-to-peer Teaching in Higher Education: A Critical Literature Review. Mentoring & Tutoring: Partnership in Learning, 24(2), 124–136. https://doi.org/10.1080/13611267.2016.1178963




